Einführung
Dieser Artikel ist als Anleitung für Lehrer gedacht, die Kinder mit Yoga vertraut machen. Es beruht auf der Erfahrung mehrerer Autoren, die Kindern aus den unterschiedlichsten Kulturen und sozialen Gruppen viele Jahre lang Yoga nahegebracht haben. So werden einige der speziellen Anforderungen an den Yoga Unterricht in Hinsicht auf unterschiedliche Altersgruppen, Fähigkeiten und körperliche Einschränkungen sowie das jeweilige Lernumfeld dargestellt. Zudem wird aufgezeigt, wie Lehrer die allgemeinen Yoga Übungen an die besonderen Bedürfnisse und Einschränkungen der von ihnen unterrichteten Kinder angepasst haben.
Was ist Kinderyoga?
Yoga ist die Kunst und Wissenschaft vom richtigen Leben. Ziel ist die Entwicklung von Körper und Geist. Daher umfasst die Yoga Lehre ein System verschiedener Fächer zur Förderung einer integrierten Entwicklung aller Aspekte eines Individuums. Bei der Darstellung der einzelnen Fächer beginnen wir normalerweise mit dem äußeren Aspekt der physischen Persönlichkeit, dem Körper. Durch die Übung der Körperhaltungen bzw. Asanas werden Wirbelsäule, Muskeln und Gelenke gesund und beweglich erhalten. Zudem bewirken Asanas eine sanfte Massage im Bereich diverser Drüsen und wirken so einem physiologischen Ungleichgewicht, wie Schilddrüsenüber- oder -unterfunktion, Störungen im Insulinhaushalt oder anderen hormonellen Störungen entgegen.
Pranayama, die Atemübungen, versorgen den Körper nicht nur mit Sauerstoff und stärken die Lungen, sondern sie wirken auch direkt auf das Gehirn und die Emotionen ein. Die durch Pranayama bewirkte emotionale Stabilisierung setzt mentale und kreative Energien auf konstruktive Weise frei. Das Kind findet so zu mehr Selbstbewusstsein, Selbstwahrnehmung und auch Selbstkontrolle.
Entspannungsübungen, die durch Rückzug der Wahrnehmung von äußeren Reizen - Pratyahara – wirken, verringern den Alltagsstress. Spezielle Pratyahara Übungen, wie Yoga Nidra, beeinflussen alle Aspekte eines Individuums, da physische und mentale Entspannung wichtige Bestandteile dieser Übung sind. Dies wird durch das Zurückziehen der Wahrnehmung von äußeren Reizen und der Konzentration, der Fokussierung der Aufmerksamkeit - Dharana - erreicht.
Konzentration über einen längeren Zeitraum - Dhyana - ist essentiell, wenn wir unsere umherschweifenden Gedanken zur Ruhe bringen und fokussierte mentale Energie in kreative Bahnen lenken wollen. Ausgewogenheit im täglichen Leben und zuletzt Samadhi, ein Zustand, auf den alle Yoga Übungen abzielen, erlangen wir durch ständiges Üben yogischer Disziplinen. Wird Yoga in das tägliche Leben einbezogen, können alle Teile der Persönlichkeit in einen ausgeglichenen Zustand gelangen. In diesem Buch befassen wir uns mit den physischen, emotionalen, mentalen und kreativen Aspekten der Persönlichkeit.
Physischer Aspekt
Unser Fokus gilt in diesem Artikel der Wirkung der Yoga Übungen auf unseren physischen Körper. Daher müssen wir verstehen, wie er funktioniert.
Unterstützende Systeme: Skelett, Muskulatur und die Gelenke, die beide verbinden. Heranwachsende Kinder sollten zu einer aufrechten Haltung ohne Anspannung und Anstrengung ermutigt werden. Gerade für junge Körper sind Elastizität, Beweglichkeit und eine richtige Körperhaltung von besonderer Bedeutung.
Kontrollsysteme: zum Beispiel Nerven- und Hormonsystem. Die Zirbeldrüse ist eine winzige Drüse, die sich im Gehirn in der Medulla Oblongata befindet. In der Yoga Lehre ist sie eng mit dem Ajna Chakra, dem Sitz für Weisheit und Intuition, verbunden. Mit dem Alter von acht Jahren setzt langsam ihr Zerfall ein. Dieser geht einher mit dem Beginn des sexuellen Reifungsprozesses. Beschleunigt wird dies durch die Ausschüttung der in der Hirnanhangsdrüse gebildeten Hormone. Viele Kinder kommen mit dieser Übergangsphase ihrer erwachenden Sexualität nicht gut zurecht. Der hohe Spiegel dieser Unruhe stiftenden Hormone im Blut bewirkt ein Ungleichgewicht zwischen ihren mentalen und vitalen Energiefeldern. 'Vital' steht für Prana, die Bioenergie, und 'mental' betrifft den Geist. Die pranischen und mentalen Energiefelder und auch das Hormonsystem befinden sich in einem Ungleichgewicht. So sind Schilddrüse und Nebennieren in ihrer Hormonproduktion nicht aufeinander abgestimmt. Aus diesen Gründen beobachten wir häufig bei Kindern dieses Alters Verhaltensstörungen. Es kommt zu Wutausbrüchen, feindseligem und sogar gewalttätigem Verhalten, und das ist überwiegend direkt oder indirekt eine Folge des hormonellen Ungleichgewichts bzw. der Hormonschwankungen. Warum sollten Kinder in so jungen Jahren mit sexueller Verantwortung belastet werden? Findet sich eine Möglichkeit, den Zerfall der Zirbeldrüse aufzuhalten und damit das Gleichgewicht zwischen dem sympathischen (Pingala) und parasympathischen (Ida) Nervensystem aufrechtzuerhalten, dann können Kinder weiterhin Kind bleiben, ohne durch unangebrachte triebhafte Gefühle verstört zu werden.
Stoffwechselsysteme: zum Beispiel Verdauungs- und Atemsystem. Da die physiologische Entwicklung der Lungen erst im Alter von acht Jahren abgeschlossen ist, ist es wichtig, Kinder durch das Üben unterschiedlicher Atemtechniken zu ermutigen, richtig zu atmen. Durch Nadi Shodhana, die Wechselatmung durch beide Nasenlöcher, kann zum Beispiel die Aktivität der beiden Gehirnhälften in ein Gleichgewicht gelangen. Auch die Yogi Atmung oder die Bauchatmung sind eindrucksvolle Beispiele für effiziente Atmung ohne nennenswerten Energieverlust. Den Nutzen der Atemübungen merken Kinder beispielsweise beim Schwimmen, wenn sie länger unter Wasser bleiben können. Sie lernen, ihre Lungenkapazität voll zu nutzen.
Emotionale Aspekte / Verhaltensaspekte
Diese Aspekte beinhalten hyperaktives Verhalten, die Fähigkeit zu entspannen und das weite Feld der Emotionen. In der Yoga Lehre sind emotionale Störungen auf ein Ungleichgewicht zwischen Manas Shakti (der geistigen Komponente) und Prana Shakti (der vitalen Komponente des Lebens) zurückzuführen. Bei überschießender mentaler Energie und fehlender Lebensenergie zieht sich das Kind zurück, leidet unter Depressionen, Ängsten oder Lethargie. Ihm fehlt der Antrieb und es kann seine mentale Energie nicht in kreative Handlung umsetzen. Hat das Kind dagegen zu viel Prana und zu wenig Manas, dann neigt es zu destruktivem und aufbrausendem Verhalten. Eine Unmenge an Energie ohne Möglichkeit, diese zu steuern, führt schnell ins Desaster, vergleichbar mit einem schnell fahrenden Fahrzeug ohne Bremsen. Solche hyperaktiven Kinder sind für ihre Umgebung sehr anstrengend und Lernen ist für sie in diesem Zustand unmöglich.
Yoga Übungen bringen überschäumende Energie automatisch zur Ruhe. Persönlichkeit und Besonnenheit sind Ausdruck innerer Reinheit, die nicht allein durch Vorträge zu erlangen ist. Entsprechende Übungen sind dazu da, um ausgeführt zu werden.
Mentaler Aspekt
Dieser Aspekt beinhaltet die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, sich zu erinnern und zu argumentieren. Er umfasst das Bewusste, das Unterbewusste und das Unbewusste sowie die systematische Stimulierung beider Gehirnhälften.
Die neue Sicht im pädagogischen Denken hatte ihre Vorläufer im Mai 1978, als die California State University eine Konferenz für Erzieher, pädagogische Berater, Betreuer, Schulpsychologen und klinische Psychologen, Lehrer und Verwaltungspersonal abhielt. Es wurden Workshops zu den Themen metaphorisches Denken, Biofeedback, T'ai Chi Chuan, Meditation, Phantasiereisen, Traumdeutung, Psychotherapie und psychische Entwicklung bei Kindern angeboten. Unter dem Begriff 'Transpersonale Psychologie' wurde eine Vielfalt positiver innerer Erkenntnisse und ihre wissenschaftliche Validierung(Überprüfung) zusammengefasst. Es wurde die Forderung erhoben, dass Lehrer ihren pädagogischen Auftrag erweitern müssten und das Metaphorische und Metaphysische, Ästhetische und Dramatische, Spirituelle und Inspirierende mit einbeziehen sollten. Sie hätten sich zu lange auf die traditionellen Methoden des Frontalunterrichts, der Lehrpläne und Schulbücher, Klassenarbeiten und Noten verlassen.
Wer Kinder hat, möchte, dass sie sich gut entwickeln. Als Erzieher und Yogis liegt es an uns, Ziele für diese elterlichen und pädagogischen Bemühungen zu formulieren. Wohin sollen sie sich entwickeln? Diese Überlegung hat heutzutage in den üblichen Schul- und Bildungssystemen keinen Raum. Wir verfügen über Methoden, haben aber keine Ziele. Wir wissen nicht, wohin sich ein menschliches Wesen entwickeln kann. Wir glauben, dass Kinder für einen Beruf ausgebildet werden sollen, z.B. zu einem Akrobat oder Lehrer, Arzt oder Tischler oder, wenn es schiefläuft, zu einem Gammler. Einen anderen, höheren Lebenssinn sehen wir nicht.
Kreativer Aspekt
Hierbei geht es um Vorstellungskraft, Visualisierung, Stimmgebung und Persönlichkeitsbildung (so, wie bei dem Fassen eines Vorsatzes in der Übung Yoga Nidra). Bei Kindern, die bereits in jungen Jahren Asanas üben, ist häufig zu beobachten, dass sie in einer Art Tanz selbst ausprobieren, wie sie von einer Haltung in eine andere überwechseln. Kinder, die mit dem bewussten Hervorrufen innerer Bilder vertraut sind, sagen häufig, dass sie sich ein Wort anschauen und davon ein inneres Bild erstellen. Das helfe ihnen dabei, es beim Lesen wieder zu erkennen und richtig zuzuordnen. Die Yoga Lehre ist so konzipiert, dass sie für jeden Menschen geeignet ist, egal wie alt er ist, welche Bildung er hat, was seine Fähigkeiten oder Beschränkungen sind. Natürlich sind die Entwicklungsmöglichkeiten weit größer, wenn mit der Übung von Yoga so früh wie möglich begonnen wird und Menschen nicht unter körperlichen Einschränkungen leiden.
Eignung der Yoga Übungen für Kinder
Die Yoga Übungen tragen nicht nur zur körperlichen Stärkung und Beweglichkeit des Kindes bei, sondern unterstützen es auch in seiner mentalen Entwicklung. Sie helfen ihm, Aufmerksamkeit und Konzentration zu stärken und sie stimulieren die kreativen Fähigkeiten, die im Kind schlummern. Kinder unter sechs Jahren richten ihre Phantasie gewöhnlich auf Märchen oder das Spiel mit einem Spielzeug. Wir können ihre Vorstellungskraft aber auch auf reale Dinge lenken und dadurch ihre Beziehung zu ihrer Umwelt realistischer gestalten, sie dazu befähigen, mit dieser realen Welt umzugehen. Kleine Kinder reagieren weit intuitiver als Erwachsene und sind in ihrer Vorstellungskraft noch kaum eingeschränkt. Somit sind sie offen für Neues, reagieren direkt, kreativ und sind vor allem lernfähig. Aus Sicht der Yoga Physiologie ist dies darauf zurückzuführen, dass eine Verkalkung der Zirbeldrüse und die damit einhergehende Einschränkung ihrer Funktionen noch nicht eingesetzt hat und dass Yoga Übungen einen solchen Verfall aufhalten. Wird das Kind dann älter und geht zur Schule, unterstützen dieselben Yoga Übungen die Entwicklung seiner Lernfähigkeiten. Die Disziplin der regelmäßigen Übungen hilft dem heranwachsenden Kind, seine emotionalen Energien zu bündeln und sie auf konstruktive Ziele zu lenken.
Physische Erziehung ist von großer Bedeutung
Professor Hans Kraus, ehemaliger Hausarzt von J.F. Kennedy, betont immer wieder, wie gefährlich unsere inaktive, von Wohlstand geprägte Lebensweise insbesondere für Kinder ist, deren Körper sich noch im Wachstum befinden und die noch eine starke und geschmeidige Muskulatur entwickeln müssen. Sportlich begabte Kinder oder auch solche, die von sich aus gerne Sport machen, haben es in dieser Hinsicht leichter als jene, die von Natur aus eher unsportlich sind. Aber auch solche Kinder entwickeln nicht automatisch eine richtige Körperhaltung. Ein Beispiel: Zu Beginn eines sechswöchigen Kurses für Kindergärtner/innen wurden diese gefragt, ob ihre eigenen vier bis sechs Jahre alten Kinder sich mit gestreckten Knien nach vorne beugen und ihre Zehen mit den Fingerspitzen berühren könnten. Alle antworteten: "Natürlich, sie sind ja ständig in Bewegung und rennen herum." Zu ihrer großen Überraschung jedoch waren ihre Kinder nicht dazu in der Lage. Normale kindliche Bewegung, wie Rennen, Klettern, Reiten, Rutschen, sorgt somit nicht automatisch dafür, dass der Körper biegsam und elastisch ist. Prof. Kraus betont, dass irgendeine Form des Sportunterrichts für jedes Kind unverzichtbar sei. Warum aber sollen Kinder Yoga üben und nicht andere sportliche Aktivitäten, wie Gymnastik oder Ballspiele?
Alle diese sportlichen Aktivitäten sind sehr gut und sollten auch gefördert werden. Sie sind jedoch nicht für alle Kinder geeignet. Yoga Übungen können sogar von Kindern mit körperlichen Behinderungen ausgeführt werden, da hierbei Schnelligkeit keine Voraussetzung ist und das Ziel weder Muskelaufbau noch Energieverbrauch ist. Die Bewegungen und Haltungen zielen auf die Dehnung und Stärkung der Muskulatur und auf die Biegsamkeit im Skelettsystem ab. Zudem dienen sie der Entwicklung und Erhaltung eines gesunden Nerven- und Hormonsystems.
Gewinn für Kinder mit körperlichen Behinderungen
Kinder, die an Kinderlähmung erkrankt waren oder unter einer anderen körperlichen Behinderung leiden, haben erfolgreich Yoga Übungen gemacht und davon enorm profitiert. Wichtiger noch als der physische Nutzen sind die positiven sozialen und psychischen Auswirkungen, die darin liegen, dass sie diese Übungen zusammen mit den sportlichsten und stärksten Kindern machen können. Dies wäre beim üblichen Sportunterricht mit Boden- und Geräteturnen sowie Ballspielen nicht möglich, da hierfür physische Kondition und Ausdauer oder schnelles Laufen und Leistungsfähigkeit notwendige Voraussetzungen sind. Für Kinder, die unter einer körperlichen Behinderung leiden, ist Yoga ideal, da sie am allgemeinen Sportunterricht teilnehmen können, ohne ausgegrenzt zu werden. Auch Kinder mit geistiger Behinderung können in ihrer Entwicklung durch Yoga Haltungen, Pranayama, Karma Yoga und Kirtan (Rezitation von Mantras), gefördert werden.
Yoga Therapie bei emotionalen Störungen
Für emotional gestörte, destruktive, aggressive oder hyperaktive Kinder ist es die yogische Disziplin, die hier eine große Hilfe ist. Ein hyperaktives Kind kommt nie zur Ruhe, ist unfähig, sich zu konzentrieren oder Aufgaben zum Abschluss zu bringen. Es redet zu viel und versagt in der Schule. Seine Probleme beginnen normalerweise schon in den ersten Jahren. Vor allem der Mutter fällt dies gewöhnlich auf, bevor ihr Kind zwei Jahre alt ist. Häufig hat es Essprobleme, schläft schlecht und wacht häufig auf. Zudem ist oft zu beobachten, dass es in den ersten Jahren seines Lebens kränkelt. Bei einem großen Teil dieser Kinder tritt eine Entwicklungsverzögerung auf, eine verlangsamte Entwicklung von Sprache und Bewegung. Als Teenager fallen sie durch größere Ungeduld und mangelnde Disziplin auf, sie sind leichter gereizt als ihre Altersgenossen und neigen zu Lügen. Ein hoher Prozentsatz von ihnen gerät häufig in Schlägereien, stiehlt und zeigt abweichendes Verhalten, wie Von-zu-Hause-Weglaufen, Auf-der Straße-Leben, Schule-Schwänzen, Konsum von Alkohol usw.
Hyperaktive Kinder werden häufig medikamentös mit Amphetaminen behandelt. Sie beeinflussen die Formatio reticularis, einen Schlüsselbereich des Hirnstamms am oberen Bereich der Wirbelsäule, der Bewusstsein und Aufmerksamkeit steuert. Unter dem Einfluss dieser Medikamente wird das hyperaktive Kind ruhiger, seine Aufmerksamkeitsspanne wird größer, es gelingt ihm besser, sich auf seine Aufgaben zu konzentrieren und sie zu beenden. Seine Schulleistungen verbessern sich. Auf Erwachsene haben Amphetamine eine ähnliche Wirkung. Sie stimulieren die Ausschüttung von Noradrenalin, einem Neurotransmitter im Zentralnervensystem und dem sympathischen Nervensystem. Amphetamine haben eine ausgleichende Wirkung auf die Aktivitäten von Noradrenalin und Acetylcholin, einem weiteren Neurotransmitter. Das Problem einer medikamentösen Behandlung liegt jedoch darin, dass die Wirkung eines Medikaments nur temporär ist. Sobald die Wirkung nachlässt, kehrt das Kind zu seinem üblichen Verhalten zurück. Zudem birgt sie bei längerer Einnahme, die bis in die Adoleszenz hinein reichen kann, die Gefahr der Gewöhnung.
In einem 'Charts of the Soul' betitelten Artikel in der Zeitschrift OMNI (1983) berichtete J. Hooper, dass F. Farley, ein Erziehungspsychologe an der Universität von Wisconsin, die These aufgestellt habe, dass Hyperaktivität und viele Lernschwierigkeiten auf ein extrem niedriges Erregungsniveau des Nervensystems zurückzuführen seien. Andere Neurophysiologen sehen die Ursache vieler damit verbundener Probleme in einer gestörten Balance der Botenstoffe Dopamin und Acetylcholin. Diese beiden Neurotransmitter sind im Gehirn für die Reizübertragung von einer Nervenzelle zur anderen zuständig. In Verbindung mit Asanas wirkt Pranayama direkt auf das Gehirn und das Hormonsystem ein und beeinflusst somit die mentale und emotionale Verfassung des Kindes. Auf diese Weise können emotionale Ausgeglichenheit und psychomotorische Koordination, d.h. eine normale Aufmerksamkeitsspanne, wieder hergestellt werden. Wir werden die Wirkung von Yoga Übungen auf hyperaktive aggressive Kinder durch Beispiele aus unserer Praxis darlegen und aufzeigen, wie wichtig eine genauere Erforschung der weitreichenden Wirkungen von Yoga Übungen ist.
Ein neunjähriges Kind wurde von seiner Mutter in unserer Yoga Schule angemeldet. Sie gab an, dass der Junge am Morgen, gleich nach dem Aufstehen, seinen fünf Jahre älteren Bruder verprügele und dann lärmend zur Schule aufbreche, wo er auch kaum zu bändigen sei und sich aggressiv gegenüber Lehrern und Schulkameraden verhalte. Das einzige, was er anscheinend gerne mache, sei das Chorsingen bei den Wiener Sängerknaben. Am Ende der ersten Yoga Stunde sagten wir ihm, er könne in der nächsten Woche wiederkommen, wenn es ihm gefallenhabe. Wenn er jedoch nicht wolle, müsse er nicht. Er kam wieder, was wohl vor allem auf das Drängen der Mutter zurückzuführen war.
Nach einigen Yoga Stunden erhielt er seinen eigenen Übungsplan, sein Sadhana, das er jeden Morgen vor dem Frühstück üben sollte. Der Übungsplan umfasste Surya Namaskara, eine aus zwölf Haltungen bestehende Übungsreihe, und sieben Runden Wechselatmung durch beide Nasenwege sowie Bhramari Pranayama, die Atemübung Bienensummen.
Einige Monate später rief seine Mutter an und bat uns, dem Chorleiter der Wiener Sängerknaben zu sagen, dass ihr Sohn wegen Rücken- und Haltungsbeschwerden am Donnerstagnachmittag zur Yoga Stunde kommen müsse. Die Yoga Stunde am Donnerstagnachmittag kollidierte mit einer für diese Zeit angesetzten Chorprobe. Ihr lag am Herzen, dass er beides, sowohl die Yoga Stunden als auch den Chor weitermachte, weil er seitdem zuhause weitaus glücklicher und ausgeglichener war. Er machte jeden Morgen seine Yoga Übungen und kam dann ruhig zum Frühstück, bevor er zur Schule aufbrach.
Als wir ihr vorschlugen, dem Chorleiter die Wahrheit zu sagen, dass nämlich ihr Sohn Yoga Unterricht nehme, um emotional ausgeglichener zu werden, wollte sie das nicht. Sie war der Überzeugung, dass er dies nicht als einen stichhaltigen Grund für den Besuch eines Yoga Unterrichts ansehen oder akzeptieren würde. So sind leider viele Menschen fälschlicherweise der Meinung, dass Yoga lediglich eine Form der körperlichen Übung sei und nicht zugleich eine Therapieform für verhaltensauffällige Kinder sein könne. Yoga Übungen unterstützen Kinder dabei, ihre Gefühle zu kanalisieren, und sie stimulieren zugleich die Kreativität bei emotional gestörten Kindern. Andere Formen physischer Erziehung sind dazu nicht in der Lage.
Yoga ist offensichtlich ein System ganzheitlicher Erziehung, das bei allen Kindern eingesetzt werden kann, denn es fördert körperliche Ausdauer, emotionale Stabilität und intellektuelle und kreative Fähigkeiten. Es ist ein einheitliches System zur Entwicklung einer ausgeglichenen ganzheitlichen Persönlichkeit des Kindes.