Swami Satyananda Saraswati
Sind unsere jungen Menschen rettungslos verloren und gibt es keinerlei andere Möglichkeiten, sie auf den rechten Weg zu führen, als durch Strafjustiz und soziale Hilfsprogramme? Ein in der alt-indischen Kultur entstandenes ideales Bildungskonzept beinhaltete einen Prozess 'eigenständigen mentalen' Lernens, der jahrhundertelang von Studenten gelernt und angewendet wurde. Nachdem er einige hundert Jahre lang in Vergessenheit geraten war, haben wir heute den Inhalt des alten, das Leben gestaltenden Systems wiederentdeckt, das zukünftige Generationen überall in der Welt mit neuer Energie erfüllen wird. Die Grundlage dieses viel gepriesenen Systems ist Yoga.
Die heutige Jugend trachtet danach, die gesellschaftlichen Schranken niederzureißen, neue Ausdrucksformen zu erschaffen, die Gesellschaft besser zu gestalten und das Unrecht, das ihnen überall begegnet, zu überwinden. In dieser Hinsicht gleichen sie allen jungen Menschen, die jemals zu irgendeiner Zeit in der Geschichte der Menschheit gelebt haben. Immer haben junge Menschen danach getrachtet, die bestehende Ordnung, ob in ihrem Elternhaus, ihrem Dorf, ihrer Stadt oder in ihrem Land zu verändern. Was sich allerdings in der jetzigen, modernen Zeit geändert hat, sind die Möglichkeiten, die jungen Menschen im heutigen Kommunikationszeitalter zur Verfügung stehen. Sie erfahren, was junge Menschen in anderen Ländern denken, können Ideen weltweit austauschen, neue Ausdrucksmöglichkeiten kreieren und verbreiten oder Ungerechtigkeiten überall auf diesem Planeten anprangern. Es ist völlig normal und natürlich, dass junge Menschen gegen Traditionen 'rebellieren'. Täten sie dies nicht, dann fände keine Entwicklung statt. Indem sie sich weigern, traditionelle Vorstellungen zu übernehmen, versuchen sie, sich ein Umfeld zu schaffen, in dem sie ein glückliches Leben führen können, das sie nach ihren Vorstellungen gestalten und wo sie nicht gegen, sondern mit ihrer eigenen Natur leben können.
Derzeit geschieht etwas sehr Merkwürdiges. Während junge Menschen fast alle herkömmlichen Vorstellungen ablehnen, sogar solche, die nur zehn Jahre zuvor populär waren, fühlen sich immer mehr von ihnen von der uralten Yoga Lehre und Tradition angezogen. In allen Altersgruppen nimmt die Zahl der Menschen, die Yoga üben, zu. Doch gerade bei jungen Menschen wird Yoga immer beliebter. Warum ist das so? Warum haben junge Menschen überall auf der Welt begonnen, ihre Lebensweise nach der Yoga Lehre auszurichten? Ältere Menschen sollten diesem Phänomen Beachtung schenken und dabei bedenken, dass jede große Umwälzung in der Geschichte der Menschheit ihre Wurzel in der Unzufriedenheit junger Menschen mit den bestehenden Verhältnissen hatte, die sie dann als Erwachsene in konkrete Veränderungen umsetzten. Somit ist es mehr als wahrscheinlich, dass das Interesse, das junge Menschen Yoga entgegenbringen, sich nach und nach in der gesamten Gesellschaft ausbreiten wird.
Von je her hat die ältere Generation geklagt, dass die jungen Menschen zu viel Freiheit hätten und ihre Zeit mit sinnlosen Dingen vergeudeten. Dass ihr Interesse einer Musik gilt, die in den Ohren älterer Menschen unmusikalisch oder sogar grauenhaft klingt. Dass die Kleidung, die sie tragen, bei älteren Mitmenschen nur ein Kopfschütteln erntet. Dass Drogen zu nehmen, als völlig inakzeptabel gilt. Dabei wird der eigene hohe Alkoholkonsum von ihren Kritikern geflissentlich übergangen. Die Liste der Beschwerden ließe sich unendlich fortsetzen. Eine solche Kritik mag begründet sein oder nicht, unbestreitbar ist jedoch, dass es noch nie eine Gruppe von Menschen gegeben hat, die so stark nach Wahrheit strebte, wie unsere heutige Jugend. Was immer junge Menschen tun, ob es nun in den Augen ihrer Mütter und Väter für gut oder schlecht befunden wird, sie haben in einem Ausmaß, wie noch keine Generation vor ihnen, mit Tabus und Traditionen gebrochen, Restriktionen überwunden und Heuchelei entlarvt. Möglich wird dies aufgrund der heutigen Gegebenheiten. Die modernen Kommunikationstechniken und eine breite Bildung eröffnen jungen Menschen größere Perspektiven und die Möglichkeit, ihren eigenen Weg zu gehen. Allein die Tatsache, dass sich junge Menschen in so viel unterschiedlichen Bereichen ausprobieren, ist ein positiver Beitrag zur Evolution der Menschheit. Ältere Menschen sollten auf sie achten und von ihnen lernen.
Ihre Suche nach Wahrheit hat junge Menschen überall auf der Welt zu Yoga geführt. Sie haben entdeckt, dass die Yoga Lehre ihnen nicht abverlangt, Dogmen oder stereotype Konzepte zu übernehmen. Stattdessen werden ihnen Angebote gemacht und sie werden aufgefordert, selbst herauszufinden, was ihnen hilft und nützt. Yoga eröffnet ihnen eine Lebensweise, die nationale Grenzen durchbricht, was Menschen zu früheren Zeiten und auch viele Menschen heutzutage nicht verstehen können. Bin ich Inder, so muss ich Indien mehr als jedes andere Land lieben. Als Engländer muss England für mich das großartigste Land sein usw. Die meisten Menschen stellen natürlich den Sinn dieser Denkweise nie in Frage. Ein junger Mensch von heute ist jedoch klug genug, um zu wissen, dass dies nicht der Wahrheit entspricht, sondern ein sinnentleerter Glaubenssatz ist, der im Verlauf der Geschichte Ursache für so viele sinnlose Kriege war. Nachdem die Yoga Lehre über einen langen Zeitraum in Vergessenheit geraten war, beginnt sie wieder neu zu erblühen, da kluge junge Menschen ihrer jetzt bedürfen. Würde sie Dogmen, Unwahrheiten oder Hassparolen gegen ihre Mitmenschen predigen, dann wären junge Menschen nicht einmal versucht, sich mit ihr zu befassen oder sie gar zu befolgen. Würde die Yoga Lehre propagieren: "Dies ist der einzige Weg, wie du zu leben hast, und alle anderen Lehren sind Irrwege", dann hätte sie jungen Menschen nichts anzubieten.
Wir befinden uns heute, mehr als je zuvor in unserer Geschichte, in einer existenziellen Krise. Nur wenige Menschen sind sich ihres Platzes in Raum und Zeit, in der Welt, in ihrem Land, in ihrer Arbeit oder in ihrer Familie sicher. Das gilt gleichermaßen für Junge und Alte. Den meisten Menschen stehen so viele Möglichkeiten offen, sie fühlen sich von so vielen einander widersprechenden Ideen angezogen. Und angesichts all dieser unterschiedlichen Vorstellungen, wie sie ihr Leben gestalten könnten, ist die Verwirrung groß. Sie wissen nicht mehr, welchen Weg sie einschlagen sollten. Wie viel leichter war es doch in der guten alten Zeit, als jeder noch in die Fußstapfen seiner Eltern treten konnte und wusste, was er nicht nur am nächsten Tag, sondern auch noch in zwanzig Jahren tun würde.
Was können junge Menschen also tun? Wie können sie sich für das entscheiden, was die Grundlage ihres Lebens sein sollte? Sie könnten sich Rat bei ihren Eltern holen, aber sie wissen instinktiv, dass es ihren Eltern nicht anders geht als ihnen. Glück und Zufriedenheit ist das, was sie suchen, und nur wenige der Älteren wissen, wie dies zu erlangen ist. Es ist wirklich so, wie ein großer Geist schrieb: "Die meisten Menschen führen ein Leben in stiller Verzweiflung". Wie kann man dann erwarten, dass junge Menschen ihren Eltern folgen, wenn sie sehen, dass diese unter all dem äußeren Gehabe und Prunk in dem Leben, das sie führen, unglücklich sind? Sie sehen, dass die Lebensweise ihrer Eltern diesen nur in flüchtigen Momenten Glück beschert, möglicherweise dann, wenn ihnen eine große Summe Geld unverhofft zuteilwird oder sie einen schönen Film sehen oder eine vorzügliche Mahlzeit genießen. Junge Menschen glauben zu Recht, dass das Leben aller der Ausdruck immerwährender Freude sein sollte.