Was ist Yoga?
Er beschäftigt sich mit der Entwicklung des menschlichen Bewusstseins und des Körpers. Er beinhaltet ein System von Disziplinen, die die einheitliche Entwicklung aller Seiten des menschlichen Individuums fördern. Wenn wir mit den Yoga-Übungen beginnen, fangen wir normalerweise mit dem äußersten Teil der Person, dem Körper, an. Durch das Training der Körperhaltung, der Asanas, werden sowohl die Wirbelsäule als auch die Muskeln und Gelenke in einer gesunden und geschmeidigen Art erhalten. Die verschiedenen Drüsen werden fein massiert und bringen viele physiologische Abweichungen ins Gleichgewicht, wie z.B. Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse, Diabetes, und andere hormonelle Schwankungen.
Die Entspannung durch das Zurückziehen des Bewusstseins von den äußeren Eindrücken, genannt Pratyahara, reduziert den Stress des täglichen Lebens. Die Techniken von Pratyahara wie Yoga Nidra beeinflussen die ganze Persönlichkeit des Einzelnen, da körperliche und geistige Entspannung durch das Zurückziehen der Sinne von äußeren Erscheinungen, die Konzentration, die wache Aufmerksamkeit, genannt Dharana, wichtige Elemente dieser Technik sind.
Dhyana, die anhaltende Konzentration, ist zur Beruhigung der herumschweifenden Sinne und zum kreativen Lenken der zielgerichteten Energie wichtig. Ausgeglichenheit im täglichen Leben, Samadhi, das höchste Ziel aller Yoga-Übungen, wird durch regelmäßige Yoga- Übungen erzielt.
Es entsteht so ein Gleichgewicht in der gesamten Persönlichkeit. Diese umfasst:
- Den körperlichen Aspekt.
- Die tragenden Elemente, z.B. das Skelett, die Muskulatur und die Verbindungen zwischen diesen beiden. Das heranwachsende Kind sollte ermutigt werden, eine aufrechte Haltung ohne Überdehnung und Überanstrengung einzunehmen. Anpassungsfähigkeit, Beweglichkeit und korrekte Haltung sind sehr wichtig für junge Körper.
- Die Kontrollinstanzen wie Nerven- und Drüsensystem.
- Das Stoffwechselsystem, z.B. das Verdauungs- und das Atemsystem.
- Der emotionelle Aspekt mit Überaktivität oder dem Phänomen der Entspannung, dem Kultivieren der Gefühle.
- Der mentale Aspekt mit der Fähigkeit, sich zu konzentrieren, sich zu erinnern, sich zu ergründen. Es umfasst Wachbewusstsein, Unterbewusstsein und Unbewusstsein, sowie die systematische Anregung beider Hirnhemisphären.
- Der kreative Aspekt mit Vorstellungskraft, Visualisierung und dem Kultivieren und zum Ausdruck bringen der eigenen Persönlichkeit (z.B. das Sankalpa in Yoga Nidra).
Die winzige Zirbeldrüse liegt im verlängerten Rückenmark des Gehirns. In Yoga ist sie eng mit dem Ajna Chakra verknüpft, dem Sitz der Weisheit und Eingebung. Im Alter von ungefähr 8 Jahren beginnt die Zirbeldrüse, sich zurückzubilden. Diese Rückbildung entspricht dem Beginn der sexuellen Reife, die durch das Freiwerden von Hormonen aus der Hypophyse herbeigeführt wird. Dieser Übergangsphase, in der sich der Sexualtrieb entwickelt, sind viele Kinder nicht gewachsen. Der hohe Anteil dieser erregenden Hormone in ihrem Blut verursacht eine Schwankung zwischen ihrem seelischen und organischen Bereich. "Vital" bedeutet Prana, die Lebensenergie; und "Mental" bedeutet Bewusstsein.
Die pranischen und mentalen Felder können nicht miteinander koordiniert werden, ebensowenig Drüsen wie die Schilddrüse und die Adrenalindrüsen. Deshalb zeigt sich in diesem Alter oft ein zerstörerisches Verhalten wie Zorn, Unwillen oder Gewalt; das meiste kann direkt oder indirekt den hormonellen Schwankungen zugeschrieben werden.
Warum ein Kind in diesem zarten Alter mit sexueller Verantwortung belasten? Wenn wir einen Weg finden, den Schwund der Zirbeldrüse hinauszuschieben, um einen Ausgleich zwischen dem sympathischen (pingala) und dem parasympathischen (ida) Nervensystem herzustellen, dann kann das Kind die Kindheit ohne den Stress der unpassenden Triebe erleben.
Die physiologische Entwicklung der Lunge findet bis zum Alter von 8 Jahren statt. Wichtig ist daher, dass Kinder dazu ermutigt werden, viele der Atemtechniken zu üben. Nadi Shodhana, die Wechselatmung, die den Ausgleich zwischen den Großhirnhälften schafft, oder die yogische Bauchatmung sind zwei wichtige Beispiele, um mit wenig Energieverlust optimal zu atmen. Kinder, die gern schwimmen, spüren, dass sie durch diese Übungen länger unter Wasser schwimmen können; sie nutzen ihre volle Lungenkapazität.
Laut Yoga resultieren Gefühlsstörungen aus Schwankungen von Manas Shakti (die mentale Komponente) und Prana Shakti (die vitale Komponente). Bei übermäßiger mentaler Energie und gleichzeitigem Pranamangel leidet das Kind: Rückzug, Depressionen, Ängste und Teilnahmslosigkeit sind die Folge. Es fehlt ihm die Schwungkraft und kann seine mentale Energie nicht in kreative Taten umwandeln. Umgekehrt bei übermäßigem Prana und nicht genug Manas wird das Kind bösartig und zerstörerisch. Unkontrollierte Energie führt zu Katastrophen; man kann es mit einem Rennwagen ohne Bremsen vergleichen. Es ist schwer, mit solchen überaktiven Kindern zu leben, und für sie ist es fast unmöglich, in diesem Zustand zu lernen.
Yogaübungen führen automatisch zu Besonnenheit. Charakter und Besonnenheit drücken die innere Ehrlichkeit der Menschheit aus.
Im Mai 1978 veranstaltete die California State University eine Konferenz für Erzieher, Erziehungsberater, Anwälte, Schul- und Klinik-Psychologen, Lehrer und Verwaltungsbeamte, die zu einer ganz neuen Auffassung über Erziehung führte. Es gab workshops für bildliches Denken, Biofeedback, Tai Chi Chuan, Meditation, geführte Imagination, Träume, Psychotherapie und psychisches Wachstum bei Kindern. Die Bezeichnung 'transpersonale Psychologie` wurde kreiert, um das breite Feld der positiven inneren Erfahrungen und seine wissenschaftliche Gültigkeit abzudecken. Lehrer müssen irgendwie ihre Verantwortung erweitern, um sich mit dem Metaphorischen und Metaphysischen, dem Ästhetischen, mit der dramatischen und spirituellen Erleuchtung zu befassen. Sie haben sich zu lange auf dem Boden der Lektüren, Textbücher, Prüfungen und Zensuren bewegt.
Wenn wir Kinder haben, wünschen wir uns ihr Wachstum. Deshalb sollten wir als Erzieher und Yogis stets vor Augen haben, wohin all diese elterliche Gewalt und Erziehungspflicht führt. Wohin gehen wir? Dieser Gedanke fehlt im heutigen normalen Erziehungssystem. Es gibt Techniken, aber es gibt kein Ziel. Wir wissen nicht, was der Mensch anstrebt; ja, wir glauben, er strebt allein in die Richtung zum Beruf als Fachmann. So denken wir für sie in Richtung Künstler, Lehrer, Arzt oder Zimmermann, aber den höheren Sinn nehmen wir nicht wahr.
Bei Kindern, die sehr früh mit den Asanas beginnen, kann man oft beobachten, wie sie sich in einer Art Tanz von einer Position in die andere bewegen. Kinder, die innere Visualisierung geübt haben, können, wenn sie ein Wort anschauen, sich ein inneres Bild machen, um die Aussprache zu lernen und es beim Lesen wieder erkennen.
Wie Yoga Kindern nützt
Die Yogaübungen helfen nicht nur, den jungen Körper stark und geschmeidig zu halten, sondern sie schließen auch geistige Aktivitäten ein, Disziplinen, die die Aufmerksamkeit, Konzentration und schöpferische Fähigkeiten entwickeln, die im Kind verborgen sind. Die Vorstellungskraft eines Kindes unter 6 Jahren ist oft durch Spielzeug und Märchen abgenutzt.
Aber wenn wir ihm wirkliche Dinge des Alltagslebens geben, um sich ein inneres Bild davon zu machen, dann wird die Beziehung zu seiner Umgebung genauer, und es kann mit der Wirklichkeit besser umgehen. Das kleine Kind lebt eher intuitiv und ist noch nicht so konditioniert, wie ein Erwachsener. Deshalb ist es offener, unverblümt, kreativ und vor allem zum Lernen fähig. Die Zirbeldrüse, die noch nicht durch Verkalkung degeneriert ist, ist laut yogischer Physiologie der Grund dafür.
Durch Yoga wird die Degenerierung hinausgeschoben. Wenn das Kind älter wird und zur Schule geht, steigert sich seine Lernfähigkeit in der Schule, und die regelmäßigen Übungen helfen dem Heranwachsenden, seine emotionalen Energien in schöpferischer Art zu lenken.
Die Bedeutung der Leibeserziehung
Prof. Hans Kraus, Arzt von J.F. Kennedy behauptet, dass unsere inaktive und übertrieben nachgiebige und verwöhnende Lebensart vor allem für Kinder, die starke und geschmeidige Muskeln für ihre späteren Jahre aufbauen sollten, gefährlich ist. Kinder, die Freude am Sport haben, leiden nicht in dem Maße, wie Kinder, die sich dem Sport fernhalten; trotzdem brauchen auch sie Anleitung zu guter Körperhaltung.
Zu Beginn eines Kurses für Spielgruppenleiter wurden diese gefragt, ob ihre eigenen 4 - 6 jährigen Kinder in der Lage sind, sich mit gestreckten Knien nach vorne zu beugen und ihre Zehen zu berühren. Sie antworteten alle: "Selbstverständlich, er springt ja immer herum". Zu ihrem Erstaunen waren ihre Kinder jedoch nicht dazu fähig. Es ist also nicht allein das Rennen, Klettern, Reiten und Rutschen, was den Körper geschmeidig und flexibel macht. Leibeserziehung ist für alle Kinder wichtig; aber Yoga ist noch etwas anderes, als Gymnastik und Spielen.
Kinder mit körperlicher Behinderung können normale Sportarten nicht machen, wohl aber Yogaübungen, denn sie verbrauchen keine Energie und erfordern keine starken Muskeln; sie strecken und dehnen die Muskeln und machen das Skelett flexibel. Darüber hinaus verhelfen sie zu einem gesunden Nerven- und Drüsensystem.
Kinder, die mit Kinderlähmung und anderen Verkrüppelungen Yoga gemacht haben, haben sehr davon profitiert; aber wichtiger ist noch, dass sich ihr soziales Verhalten so verändert hat, dass sie sich in Klassen oder Gruppen wohl fühlen konnten und miteinbezogen wurden, zu denen die stärksten und mutigsten Kinder gehörten.
Mit Gymnastik und Spielen wäre dies unmöglich, weil dazu gute Gesundheit, Widerstandskraft, schnelle Bewegungen und Konkurrenzdenken notwendig ist. Yoga ist ein Geschenk für Kinder, die irgendwie körperlich benachteiligt sind, aber nichtsdestotrotz Freude an Leibeserziehung haben sollten, ohne dadurch Außenseiter zu sein. Auch geistig behinderte Kinder können von Yogaübungen, Kirtan, Pranayama und Karma Yoga profitieren.
Unterschied zwischen Yoga und Drogentherapie bei emotionalen Störungen
Emotional gestörte, bösartige, aggressive und überaktive Kinder können von Yoga profitieren. Das überaktive Kind ist ruhelos, unfähig, sich auf die Arbeit zu konzentrieren oder sie zu beenden, sehr redselig und ein schlechter Schulteilnehmer. Seine Schwierigkeiten beginnen meistens sehr früh und werden üblicherweise von der Mutter bemerkt, bevor das Kind 2 Jahre alt ist.
Sie neigen in den ersten Lebensjahren zu Essproblemen, Schlafstörungen und schlechter Gesundheit. Oft sind sie durch spätes Sprechen und schlechte Koordinierung im Nachteil. Im Teenager zeigen sich dann verstärkt Ungeduld, Widerstand gegen Disziplin, Reizbarkeit und Unwahrheit. Viele von ihnen sind Raufer oder begehen Diebstahl, oder zeigen sonstiges ungewöhnliches Verhalten (von Zuhause fortlaufen u.a.). Sie suchen sich 'schlechte Gesellschaft`, schwänzen die Schule, selbst Alkoholmissbrauch ist nicht ungewöhnlich.
Um überaktive Kinder zu behandeln, werden Amphetamine benutzt. Sie beeinflussen das Retikularsystem, eine Schlüsselposition im Hirnstamm am oberen Ende der Wirbelsäule, von wo aus das Bewusstsein und die Aufmerksamkeit kontrolliert werden. Unter ihrem Einfluss wird das überaktive Kind ruhiger, zeigt eine längere Aufmerksamkeit und größere Ausdauer bei der zugeteilten Arbeit und ist in der Schule leistungsfähiger. Auf Erwachsene haben Amphetamine eine sehr ähnliche Wirkung.
Sie regen zur Ausschüttung von Noradrenalin, einem Neurotransmitter am Nervenende, an. Dadurch kommt manchmal die Ausschüttung zwischen Noradrenalin und Acetylcholin (einem anderen Neurotransmitter) wieder ins Gleichgewicht. Das Problem von Medikamentengebrauch ist jedoch, dass die Wirkung nur vorübergehend ist. Wenn sie nachlässt, kehrt das Kind zu seinem früheren Verhalten zurück. Wenn die Drogenbehandlung bis in die Teenagerzeit fortgeführt wird, besteht die Gefahr zur Überdosis und Sucht.
In einem Artikel mit dem Titel 'Charts of the Soul` in Omni 1983 berichtete J. Hooper, dass F. Farley, Erziehungspsychologe an der Universität in Wisconsin vermutet, dass Überaktivität und viele Lernschwierigkeiten auf ernsthafte Störungen des Nervensystems zurückzuführen sind. Andere Neurophysiologen forschen nach der Ursache für viele der verwandten Probleme mit den Dopamin-Acetylcholin-Schwankungen.
Beide Neurotransmitter sind notwendig, um im Gehirn für die Übermittlung von Impulsen von einer Nervenzelle zur anderen zu sorgen. Pranayama zusammen mit Asanas wirken direkt auf das Gehirn und auf die Drüsensysteme ein und deshalb auch auf die mentale und auf die emotionelle Natur des Kindes. Pranayama hilft, die emotionale Harmonie und die psycho-motorische Normalität (die Spanne der normalen Aufmerksamkeit) wieder herzustellen. Wir werden unsere Erfahrungen wiedergeben, welche Wirkung Yoga auf überaktive und aggressive Kinder hat und darlegen, warum ein genaues Wissen über die weit reichenden Wirkungen der Yogaübungen notwendig ist.
Ein 9-jährigerJunge wurde von seiner Mutter zum Yoga-Unterricht gebracht. Sie berichtete, dass er am Morgen aufsteht und seinen 5 Jahre alten Bruder schlägt, bevor er lärmend zur Schule geht, wo er sich ebenfalls bösartig und aggressiv verhält. Das einzige, was ihm anscheinend gefällt, sei das Singen mit den Wiener Sängerknaben. Am Ende der ersten Yogastunde wurde ihm gesagt, wenn ihm der Unterricht gefallen hat, solle er in der nächsten Woche wiederkommen, aber es sei kein Zwang. Er kam wieder, und wir sind sicher, unter dem Ansporn seiner Mutter.
Nach einigen Stunden erhielt er ein Übungsprogramm, was er jeden Morgen vor dem Frühstück machen sollte. Es bestand aus 6 Runden Surya Namaskara und jeweils 7 Runden glückliches Atmen, einfache Wechselatmung durch die Nase und Bhrameri Pranayama, die summende Bienenatmung.
Einige Monate später rief seine Mutter an, und bat uns, falls der Direktor der Wiener Sängerknaben anrufen sollte, ihm gesagt werden sollte, dass ihr Sohn den Yoga- Unterricht am Donnerstag Abend besucht, weil er ein Problem mit seiner Wirbelsäule hat. Der Yoga-Kurs und die Chorübungen fielen auf den gleichen Abend. Sie wollte, dass er weder mit Yoga noch mit dem Chor aufhörte, da er Zuhause ein sehr ausgeglichenes Kind geworden war. Er machte jeden Morgen seine Yoga-Übungen und kam dann ruhig zum Frühstück, bevor er zur Schule ging.
Als angedeutet wurde, dass dem Direktor gesagt werden sollte, dass das Kind zum Yoga-Unterricht kommt, um ein emotionales Problem zu beheben, behauptete die Mutter, der Direktor würde das nicht verstehen und auch nicht als Grund für den Besuch des Yoga-Unterrichts akzeptieren. Dies wirft ein Bild auf die leider existierende Verkennung von Yoga als eine Art der körperlichen Ertüchtigung, was die Basis einer Therapie für emotional gestörte Kinder außer Acht lässt. Yoga hilft dem Kind, seine Emotionen zu lenken und regt die Kreativität in einem solchen Kind an, was mit anderen Formen der körperlichen Erziehung nicht so leicht erreicht werden kann.
Wir möchten hier zeigen, dass Yoga eine Form der gesamten Erziehung ist, die für alle Kinder geeignet ist, da sie körperliche Widerstandskraft, emotionale Stabilität, intellektuelle und kreative Talente entwickelt. Es ist ein ganzheitliches System zur Entwicklung einer insgesamt ausgeglichenen Persönlichkeit des Kindes.
"Es grenzt schon an ein Wunder, dass die modernen Lehrmethoden die heilige Neugier der Forschung noch nicht völlig abgewürgt haben, denn was die zarte kleine Pflanze am meisten braucht, abgesehen von ersten Anstößen, ist Freiheit, ohne die sie mit Sicherheit eingeht."
Albert Einstein
(Aus: Yoga Heft Nr. 18) - Swami Yogabhakti Saraswati