Dr. Swami Shankardevananda Saraswati
Die Suche nach neuen und besseren pädagogischen Methoden, wie sie die Menschheitsgeschichte durchzieht, setzt sich fort. Mit der Entdeckung und Anwendung der Yoga Lehre scheint jedoch ein entscheidender Durchbruch in Reichweite zu sein. Die wissenschaftliche Entdeckung der unterschiedlichen Funktionen der beiden Gehirnhälften stützt die Aussagen der Yoga Lehre und fördert die Erweiterung des Bewusstseins, denn sie liefert eine Erklärung dafür, wie notwendig die Einbeziehung dieser Lehre in unser Leben ist.
Das Gehirn ist in zwei Hirnhälften unterteilt. Jede scheint eine eigene und weitgehend andere Aufgabe wahrzunehmen. Die rechte Gehirnhälfte ist für unsere intuitiven und räumlichen Fähigkeiten zuständig, wohingegen die linke mit unseren analytischen und linearen Fähigkeiten in Verbindung gebracht wird. Bisher lag der Schwerpunkt der Bildungsbemühungen auf den Funktionen der linken Gehirnhälfte, indem lineare, wissenschaftliche und rein logische Fächer, wie Lesen, Schreiben und Rechnen, im Vordergrund standen. Die wenigen, künstlerische, intuitive Fähigkeiten fördernden Fächer, wie Kunst, Tanz und andere kreative Tätigkeiten, spielten bisher eine eher nebensächliche Rolle, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in den Lehrplänen. Pädagogen sehen dieses Bildungskonzept als zu einseitig. Es führe zu einer Teilbildung und wirke sich sogar nachteilig auf unser Leben aus.
So beklagt Jerry Smith, Professor für Pädagogik an der Indiana University, USA, dass Lehrer aufgrund eng gesteckter Bildungsziele den Bezug zu ihrer Berufung verloren hätten. Die heutigen Lehrpläne sind zu starr. Sie eröffnen uns weder die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, noch befriedigen sie unsere Grundbedürfnisse, nach denen wir alle im Leben streben.
In einer Sonderausgabe der Zeitung des Instituts für Erziehungswissenschaft heißt es: "Lehrer müssen ihren pädagogischen Auftrag erweitern und das Metaphorische und Metaphysische, Ästhetische und Dramatische, Spirituelle und Inspirierende mit einbeziehen. Wir Lehrer haben uns zu lange auf die traditionellen Methoden des Frontalunterrichts, der Lehrpläne und Schulbücher, Klassenarbeiten und Noten verlassen."
Ganzheitliche Entwicklung des Gehirns
Die Bildungsforscherin Vivian Sherman hat davor gewarnt, dass unser derzeitiges Bildungssystem ein großes Hindernis für die Vereinigung der intellektuellen und der intuitiven Fähigkeiten (linke und rechte Gehirnhälften) darstellt. Sherman behauptet, dass die Stimulierung der linken Gehirnhälfte (nach dem rein intellektuell ausgerichteten Bildungskonzept) auf einem falschen und ungenauen Wissenschaftsbegriff basiere. In ihrer Mehrzahl sind die großen wissenschaftlichen Entdeckungen, wie die von Newton und Einstein, intuitiven Eingebungen zu verdanken, einer kosmischen Einsicht in die Natur des Ganzen und einem Verständnis der Zusammenhänge, auf der das materielle Universum beruht. Erst danach kamen diese Wissenschaftler durch die analytische Überprüfung ihrer Einsichten zu ihren logischen und praktischen Schlussfolgerungen.
In ihrem Bemühen, die beiden Gehirnhälften besser zu verbinden, haben Forscher die Wirkungen von Meditation, Yoga Asanas, Pranayama, Biofeedback usw. untersucht. Dabei versuchten sie herauszufinden, was genau im Gehirn vorgeht und wie sich die einzelnen Prozesse beeinflussen lassen. Diese Forschung hat einiges Staunenswertes zu Tage gebracht. So hat Banquet nachgewiesen, dass bei der Übung von Kriya Yoga beide Gehirnhälften miteinander verbunden sind und als eine Einheit funktionieren, anstelle des heillosen, chaotischen Durcheinanders, als das viele Menschen ihre Gedanken erleben. Viele gaben an, dass dies für sie eine beglückende und lebensbejahende Erfahrung war. Häufig betonen Menschen, dass sie sich nach einer Kriya Yoga Übungsstunde sehr lebendig fühlten und mit der kreativen Energie und dem Wissen des Universums in Kontakt gekommen seien. Sie bekommen Zugang zu dem inneren Wissen, das in uns allen steckt, und das in vielen Büchern und externen Wissens- oder Informationsmedien wiedergegeben ist. Diese Fähigkeit scheint zutage zu treten, wenn beide Gehirnhälften miteinander verbunden sind.
In der Yoga Sprache wird die Vereinigung der beiden Gehirnhälften als Erweckung von Sushumna Nadi bezeichnet, dem Energieweg, der in der Wirbelsäule verläuft. Die linke Gehirnhälfte, die logische und aktive Seite, findet ihre Entsprechung in Pingala Nadi auf der rechten Körperseite. Entsprechend spiegelt sich die rechte Gehirnhälfte in Ida Nadi, den inneren Aspekten des Geistes und der formlosen Energie. Indem sie in ihrer Forschung von den bereits gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Yoga Lehre ausgingen, stellten Wissenschaftler fest, dass die Erklärungen für ihre Testergebnisse bereits in den uralten Yoga Lehrbüchern (Shastras) zu finden sind.
Yoga: Der evolutionäre Katalysator
Es wurde eine neue Methode entwickelt, wie sich Meditation, Natur- und Erziehungswissenschaften miteinander verbinden lassen, um die bisher vorhandenen pädagogischen Möglichkeiten zu erweitern. Die von Georgi Lozanov / Bulgarien entwickelte Methode des beschleunigten Lernens nutzt die wesentlichen Elemente der Übung Yoga Nidra, um zu ermöglichen, dass Informationen und Wissen über die tiefere Ebene des Unterbewussten in das Gehirn und den Geist einfließen. Dadurch wird der verstandesmäßige Lernprozess umgangen und nicht mehr benötigt. Diese subtile Lernmethode setzt sich weltweit immer mehr durch. So berichtete Don Schuster von der Iowa State University, dass Judy Tyler, eine Lehrerin von Drittklässlern in Atlanta, Schüler durch Anwendung der Methoden von Yoga Nidra und Suggestopädie befähigt hat, den Lernstoff von zwei Jahren in nur einem Schulhalbjahr (etwa vier Monaten) nachzuholen.
Die neue Sicht im pädagogischen Denken zeichnete sich im Mai 1978 ab, als die California State University eine Konferenz für Erzieher, pädagogische Berater, Betreuer, Schulpsychologen und klinische Psychologen, Lehrer und Verwaltungspersonal abhielt. Es wurden Workshops zu den Themen metaphorisches Denken, Biofeedback, T'ai Chi Chuan, Meditation, Phantasiereisen, Traumdeutung, Psychotherapie und psychische Entwicklung bei Kindern angeboten. Unter dem Begriff 'Transpersonale Psychologie' wurde eine Vielfalt positiver innerer Erkenntnisse und ihre wissenschaftliche Validierung zusammengefasst.
Ein Ergebnis der Konferenz scheint zu sein, dass in naher Zukunft transzendentale oder mystische Erfahrung als Ergänzung zu kognitivem, psychomotorischem und effektivem Lernen von Lehrern und Lehranstalten anerkannt werden. Meditation und Methoden, sich auf natürliche Weise in einen erweiterten Bewusstseinszustand zu versetzen, werden an Schulen gelehrt werden. Ziel ist dabei nicht nur, Körper, Geist und Psyche zu entspannen, sondern auch, Zugang zur rechten Gehirnhälfte zu erlangen, wodurch neue Erfahrungs- und Wissensbereiche erschlossen werden. Dies stellt eine enorme Bereicherung des Bildungswesens dar. Die Yoga Lehre wird dabei eine große Rolle spielen, denn sie ermöglicht es Schülern und Lehrern, mittels systematischer, sicherer und praxisorientierter Methoden zu höheren Wahrnehmungsebenen zu gelangen.
Durch Verstärkung unserer natürlichen Intuition unterstützen uns die Yoga Übungen darin, aus den verschiedenen Elementen unserer Umwelt ein strukturelles Ganzes zu erstellen. Auf diese Weise können wir das große Ganze besser erkennen. Wir erkennen, wie alles in unserer Umwelt und in unserem Inneren miteinander in Beziehung steht und miteinander verwoben ist. So entsteht ein Denkmuster, das uns darin unterstützt, die Welt als einen immerwährenden Wachstumszyklus zu verstehen. Die Entwicklung unserer Intuition hilft uns auch auf der logischen Ebene. Bei Nutzung der Fähigkeiten eines visualisierenden Geistes können Inhalte bestimmter Schulfächer besser aufgenommen werden. Die Gültigkeit dieser Theorie wurde bereits in der 'alternativen' Magnet Arts Grundschule in Eugene, Oregon, USA, nachgewiesen, wo Lesen und Schreiben gelehrt werden, indem die Schüler Stücke schreiben und sie aufführen. Elemente des Tanzes fließen in die Vermittlung von Mathematik und in den naturwissenschaftlichen Fächern wird auch die Herstellung von Musikinstrumenten gelehrt. Das Ergebnis spricht für sich: die Schülerinnen und Schüler der sechsten Klasse schnitten in einem Bezirkswettbewerb der Schulen als Beste im Lesen und als Fünftbeste in Mathematik ab.
Sowohl aus Sicht der Schüler als auch der Lehrer ist Yoga der Schlüssel zu einem besseren Bildungssystem. Hierdurch verstärkt sich der Kristallisationsprozess während der Wachstumsphase des Gehirns und des Geistes. Es werden praktische Methoden angeboten, um die dualen Aspekte unseres Wesens miteinander in ein Gleichgewicht zu bringen: Gehirn und Geist, Innen und Außen, Links und Rechts, intuitive und analytische Fähigkeiten. Jungen Menschen eröffnen sich lohnenswerte Ziele, wodurch die katastrophalen Auswirkungen einer schlecht bewältigten Identitätskrise vermieden und ihrem Leben eine positive Richtung gegeben wird.
Entspannung für Schulkinder
Suchen wir nach Wegen, die Gesellschaft, in der wir leben, besser zu gestalten, dann fällt der Bildung eine Schlüsselfunktion zu. Wie finden wir aber heraus, was die wichtigsten Inhalte sind und wie sie am besten zu unterrichten sind? Bisher lag der Fokus auf der Vermittlung von fachlicher Kompetenz und Entwicklung unserer intellektuellen Fähigkeiten. Ein großes Defizit war stets die Vermittlung sozialer Fähigkeiten, die uns zu besseren Menschen machen. Dieser Bereich wurde den Eltern und religiösen Institutionen überlassen. Angesichts des Zustands und der Möglichkeiten der heutigen Welt gibt es sicherlich vieles, was sich noch verbessern ließe.
Die Einführung von Yoga Übungen in den Lehrplan an unseren Schulen wäre ein großer Schritt zum Auffüllen der Lücken in unseren derzeitigen Bildungssystemen. Wir würden uns nicht nur zu besseren Menschen entwickeln, sondern auch besser Lesen, Schreiben und Rechnen lernen, da wir uns besser entspannen und konzentrieren könnten. Ein Forschungsbericht des Psychologen S.H. Harlem bestätigt diese Behauptung. Harlem griff bei seinem Experiment auf eine leicht abgewandelte Version der Yoga Entspannungsübungen zurück, die die Grundlage für die moderne Biofeedback-Methode sind. Die Versuchsgruppe bestand aus neunundzwanzig Schulkindern (im Alter von durchschnittlich sieben Jahren) und die Kontrollgruppe aus dreißig Schulkindern. Die Versuchsanordnung bestand darin, dass die Kinder in der Versuchsgruppe neben ihrem Unterricht täglich zehn Minuten Entspannungsübungen ausführten. Die Kinder in der Kontrollgruppe verbrachten diese zehn Minuten mit freiem Spielen. Nach zwei Wochen wurden die Kinder einer psychologischen Testreihe zur Untersuchung kognitiver Fähigkeiten und Muskelspannung unterzogen.
Bei den Kindern in der Versuchsgruppe wurden signifikante Veränderungen in allen Messwerten festgestellt: Bessere Werte bei Wahrnehmung, Konzentration, Gedächtnis und kognitiver Anpassung. Die Elektromyographie-Messwerte EMG der Muskelspannung ergaben eine größere körperliche Entspannung, was gleichzeitig ein Hinweis auf eine mentale Entspannung ist. Zudem waren die Kinder in der Lage, diesen Entspannungszustand über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. Den Wert einer besseren Konzentrations- und Gedächtnisleistung schon in jungen Jahren wissen sicherlich alle zu schätzen, die die lange Schulzeit durchlaufen und die Torturen der jährlichen Abschlussprüfungen ertragen mussten. Wenn wir das alles nur schon damals gewusst hätten.
Sollte man darauf drängen, dass Kinder Yoga lernen, oder sollte man es ihnen überlassen?
Wenn du das in Bezug auf Yoga fragst, dann solltest du auch alles andere dem Kind überlassen. Kinder sind formbar, unschuldig und voller Hingabe. Sie glauben an eine höhere Wirklichkeit; aber sie brauchen das richtige Training. Es wäre gut, wenn die Erziehung für ein spirituelles Leben, zur Disziplin und Yoga so früh wie möglich beginnt.
Wenn beide, Eltern wie Kinder ein diszipliniertes und regelmäßiges Leben führen, wird sich das auf das Verhalten und die Persönlichkeit der ganzen Nation auswirken. Deine Nation, Regierung und Familie sind dein Stolz, und dieser Stolz ist Disziplin. All das, was Amerika, Deutschland, Russland und China geschaffen haben, entstand durch Disziplin. Das erste Yoga Sutra von Patanjali heißt: "Atha Yoga Anushasanam", was bedeutet, dass Yoga Disziplin ist. Es heißt nicht einmal, dass Yoga Übung ist.
Gib deinem Kind Disziplin, zuerst wenig, dann immer etwas mehr. Wenn du einen Bleistift zu stark aufdrückst, wird die Spitze abbrechen. Ein Kind sollte Disziplin im Lichte eines spirituellen Lebens und Yoga erhalten.
Gibt es allgemeingültige Regeln in Yoga, um Kinder aufzuziehen?
Eltern machen sich zu viel Sorgen um ihre Kinder. Kinder sollten unter Kindern leben; man sollte sie in Ruhe lassen, so dass sie allein wachsen können. Die Pflicht der Eltern ist es, auf die Kinder aufzupassen, solange sie unschuldig sind, so dass sie nicht in Schwierigkeiten kommen. Ich kann beobachten - und ich denke, die meisten werden mir zustimmen - dass Eltern sich so viel um ihre Kinder sorgen, dass sie aus diesem Grunde Fehler machen.