Durch eine einfache und kurze Entspannungsübung können wir einen zeitweiligen Zustand der Entspannung herstellen, was so wichtig ist, damit sich der ganze Mensch erholen kann. Während dieser Periode der Ruhe und der klaren Gedanken sind wir in der Lage, das Leben realistischer zu sehen. Wenn wir entspannt sind, können wir über Situationen lachen, die uns noch eine halbe Stunde vorher das Blut zum Kochen brachten; wir erkennen, dass unser Nachbar, der uns kurz vorher wütend gemacht hat, gar kein so schlechter Mensch ist. Entspannt sehen wir die gleichen Situationen in einem neuen Licht.
Und diese Methode verhilft uns zu einem positiven Wechsel unseres Lebens. Wir sehen deutlich die Probleme, die uns die Spaltung verursachen und können daran arbeiten, in eine andere Beziehung zu unserer Umgebung zu treten. (Dieser Prozess verläuft unterwusst und setzt voraus, dass wir uns der miteinander verstrickten Tatsachen bewusst sind.) Dies hilft uns, uns entspannter und verständnisvoller im Leben und anderen Menschen gegenüber zu verhalten. Aus diesem Grunde können uns schon einige wenige Minuten bewusster Entspannung helfen, unser Lebensbild in eine günstigere und harmonischere Richtung zu lenken.
Trotzdem wird hier nur die Oberfläche der Spannungsprobleme und der Unfähigkeit, zu entspannen, berührt. Die entscheidende Ursache liegt im Geist, in den Gedanken. Die Konflikte und Ängste sind eingebettet und wohlverpackt in den unterbewussten Gedanken, deren Beschaffenheit wir nicht kennen. Wir fühlen nur den Druck und den emotionalen Ärger, den sie in unserem Leben verursachen. Oft erleben wir das Ergebnis, aber den Grund der Probleme kennen wir nicht. Die Depression und die Spannung sind da, aber wir wissen nicht, woher sie kommen.
Es mag viele gute Ratschläge geben, aber letztlich gibt es nur eine einzige Methode, wie man diese unbewussten Eindrücke (in Sanskrit werden sie Samskaras genannt), die ein Großteil unseres Lebens zu einem unerfreulichen Drama werden lassen, loswerden kann: Wir müssen unsere Gedanken kennen lernen und die unterbewussten mentalen Eindrücke ins Blickfeld holen! Das erfordert Zeit und Kraft und körperliche und mentale Entspannung. Für die meisten Menschen ist es aber unmöglich, sich zu entspannen, denn sie haben so viele Sorgen und Probleme, dass sie total darin verstrickt sind, und so können sie ihren Gedanken und Gefühlen nicht näher rücken.
Um das Bewusstsein von der äußeren Umgebung und den vielen kleinen Problemen zu entwirren und nach innen zu lenken, müssen wir uns entspannen können. Das ist ein entsetzlicher Teufelskreis: gedankliche Probleme und Stress machen es unmöglich, die Gedanken zu untersuchen, wodurch tiefere Probleme entfernt werden könnten; diese wiederum schaffen so große Verwirrung, dass ein Untersuchen der Gedanken gar nicht erst möglich ist. Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma?
Es gibt eine Methode, die auf den ersten Blick als moralisch oder als Indoktrination erscheinen mag. Es ist jedoch ein Weg, um zum Ziel zu kommen, um länger anhaltende Entspannung in unser Leben zu bringen, so dass wir schließlich das innere Reich der Gedanken entdecken und die wahre Quelle der Spannung entfernen können. Es ist die Grundlage, auf der die Meditation aufbaut.
Diese Methode scheint so einfach, dass man zuerst einmal dazu neigt, ihre Bedeutung zu verkennen. Sie in die Tat umzusetzen wird dann allerdings schon etwas schwerer. Man versucht, negative, spannungsgeladene Gedanken bewusst durch Gedanken, die der Entspannung und dem harmonischen Leben dienlich sind, zu ersetzen. Ein Beispiel kann das verdeutlichen: Stell Dir vor, dass Eskimos für Dich gewalttätig und roh sind. Jedes Mal, wenn Du einen Eskimo auf einem Bild oder in Natur siehst, wirst Du innerlich einen Schock erleiden, vielleicht keinen großen, aber ganz sicher wird Spannung aufkommen.
Wenn Du Dir dies nun etwas kritischer anschaust und ganz bewusst den Gedanken entwickelst, dass er ein menschliches Wesen ist wie Du, dann wird sich Deine mentale Spannung verringern, die jedes Mal auftaucht, wenn Du einen Eskimo siehst. Dies ist natürlich nur ein Beispiel und vielleicht nicht einmal ein Gutes, denn die Probleme, die uns normalerweise Schmerzen verursachen, sind mehr persönlicher Natur. Nun, diese Methode wird nicht die Wurzel des Konflikts, wie Du Eskimos siehst, entfernen, - dies liegt im Unterbewusstsein vergraben. Aber diese bewusst entwickelte Gewohnheit wird Dir helfen, mehr und mehr zu entspannen; und schließlich kann man die Gedanken erkennen und kann dann das Grundproblem entfernen. Dies kann man auf alle Lebensbereiche anwenden. Zugegeben, es ist nur ein intellektueller Vorgang und kratzt nur an der Oberfläche, aber es ist eine wertvolle Hilfe, tiefer zu entspannen, und in einiger Zeit kann man dann die tief im Unterbewusstsein lagernden Eindrücke herausholen. Es ist ein Werkzeug, sonst nichts.
Alle Religionen haben uns das durch alle Zeitalter hindurch gepredigt. Als Christus, Buddha, Mohammed und verschiedene andere Religionsführer die Menschen aufforderten, ihr Verhalten anderen gegenüber zu korrigieren, zeigten sie den Weg zu einem glücklichen, spannungsfreien Leben, was der erste Schritt zu höherem Bewusstsein ist. Als Christus sagte: "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst!" war das keine Moralpredigt und auch kein Rezept für ein harmonisches soziales Leben.
Wenn die mentale Spannung und Unruhe nachlässt, können wir mental und spirituell wachsen. Es ist ein sehr praktischer Rat. Dieses 'Liebe deinen Nächsten wie dich selbst' ist auf einer höheren Ebene der Zustand der Verwirklichung, zu dem jeder Mensch kommen wird, wenn er seine Gedanken gereinigt hat und die Einheit des ganzen Seins erkennt. Im Moment wollen wir jedoch auf einer tieferen Ebene beginnen. Die verschiedenen Ausdrucksformen von Religionen waren immer dafür bestimmt, den Menschen zu mentaler Entspannung und klarem Denken zu verhelfen, damit die Einzelseele bewusster werden kann, um sich für die unendlichen Möglichkeiten des Lebens und des Bewusstseins zu öffnen. Entspannung ist die Tür zu Gesundheit, Glück und höherem Bewusstsein.
Was ist die größte Kunst? - und was ist am Leichtesten? Die größte Kunst ist die Selbstbeherrschung, und am Leichtesten ist es, unsere Nächsten zu kritisieren. - E. Haich
(Aus: Auszüge aus dem Buch Yoga und Kriya; YOGA Heft Nr. 7) - von Dr. Swami Vivekananda Saraswati