Einführung in die Chakras
Wir haben die Vorstellung, dass die so genannte westliche Zivilisation mit Intelligenz zu tun hat, dass die Menschen hier intelligenter sind. Aber das ist sehr fraglich. Die klassischen indischen Schriften deuten auf eine Tiefe und auf ein so fundamentales Verständnis, nach dem wir noch immer suchen. Du hast vielleicht von den Chakras und von Kundalini Yoga gehört. Man kann sie als Reise in den inneren Raum definieren. Die Chakras sind sich drehende Energiewirbel, sie sind Verbindungspunkte zwischen Geist und Körper – in der westlichen Medizin würden wir das die psychosomatischen Punkte nennen.
Die fünf Elemente und deren Zuordnung zu den Chakras
Wenn wir mit Kriya Yoga beginnen, dieser aus dem Tantrasystem kommende Yogaform, die von Swami Satyananda gelehrt wird, erwachen oder reifen diese Chakras. Jedes Chakra wird von einem Element charakterisiert. Die meisten von uns sind vertraut mit den Elementen Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther oder auch Akasha. Wenn man die Verbindung zu den Chakras herstellen will, kann man die fünf Finger einer Hand als Gedächtnisstütze nehmen.
Wenn in der Samkhya Philosophie des alten Indiens über Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther gesprochen wird, ist das nicht die Erde, die du in der Hand halten kannst, oder das Wasser, das du trinken kannst; es sind Begriffe, die für Ewigkeit stehen. In unserer westlichen Wissenschaft haben wir eine Elemententabelle. Wir sprechen über Hydrogen, Nitrogen, Oxygen, Kohlenstoff usw., und es kommen immer weitere dazu. Es sind inzwischen mehr als hundert.
Die Samkhya Klassifizierung brachte alle in Erscheinung tretende Existenz in Verbindung mit fünf Elementen: Erde, das Prinzip der Solidität und Dichte; Wasser, das Prinzip des Flüssigen, z. B. Quecksilber; Feuer, das Prinzip des Glühens, der Hitze, alles was automatisch Wärme erzeugt, kommt in diese Kategorie; Luft, das gasförmige Prinzip, was den Begriff der Bewegung einschließt; und schließlich Äther, was zu dem gehört, was wir in der westlichen Wissenschaft als das gesamte elektromagnetische Spektrum bezeichnen und über dem liegt, was wir mit den untrainierten menschlichen Sinnen aufnehmen können.
Alles, was du fassen, berühren kannst, kannst du in eine dieser ersten vier Kategorien einordnen. Wenn es fest und konkret ist, gehört es zur Erde; ist es flüssig und fließend, gehört es zum Wasser; wenn es leuchtend und Wärme erzeugend ist, gehört es zum Feuer; ist es gasförmig, gehört es zur Luft; und kosmische Strahlung, die wir normalerweise nicht bewusst wahrnehmen, gehört zu Äther. Und diese Kategorisierung zählt für alle Zeiten.
Jeder von uns repräsentiert einen Mikrokosmos, eine Vollkommenheit in sich selbst. Diese Elemente tragen wir in uns. Wenn Swami Satyananda über das Erwecken der Chakras spricht, meint er damit auch die Kontrolle über diese Elemente in uns, das Freilassen von der jeweiligen Kraft, die zu jedem der Zentren eine Verbindung hat.
In den Veröffentlichungen der Bihar School of Yoga wirst du Abbildungen der Chakras und ihrer Attribute finden. Wenn du auf ein solches Diagramm schaust, so ist es ein gespeichertes Informationssystem. Es ist ein kondensiertes Ablagesystem, wie ein Computerband. Wenn du verstehst, wie du dieses Yantra oder Mandala lesen kannst, dann sprudeln dir die Informationen entgegen.
Mooladhara Chakra
Das Erdelement ist verbunden mit Mooladhara Chakra, Wasser mit Swadhisthana, Feuermit Manipura, Luft gehört zu Anahat und Akasha oder Äther zu Vishuddhi. Nun magst du fragen: ‚Na und, was hat das Ganze mit mir und dir zu tun, die wir den spirituellen Weg suchen?’ In Satyananda Yoga beginnt das spirituelle Leben mit Kriya Yoga, dem Erwecken der Chakras. Wenn sie erwachen, dann erst lernt der Mensch sein ’Input und sein Output’zu kontrollieren.
Im alten Indien betrachteten sie den Menschen vollkommen mechanisch, behavioristisch. Sie sahen den Menschen als schwarzen Kasten, wie einige moderne Psychologen. Was ist dieser schwarze Kasten? Eine Schnur geht nach innen, und eine Schnur geht nach außen. Wir können es Stimulus und Erwiderung nennen, und das menschliche Wesen ist der geheimnisvolle schwarze Kasten dazwischen.
Wenn du mich mit einer Nadel stichst – dem Stimulus – springe ich hoch – die Erwiderung. Was zwischendrin passiert, ist der schwarze Kasten. Im Altertum hat man ein System entwickelt, in dem die Chakras mit den ‚Sinneseindrücken’ und den Handlungen als ‚Output’ in Verbindung stehen. Diese Zuweisung ist sehr logisch und einfach, und wir werden hier über die ersten fünf Chakras, die fünf Finger der Hand sprechen.
Der sensorische Weg von Mooladhara Chakra ist das Geruchsorgan, die Nase. Alle Kriyas, die die Nase einbeziehen und den Geruchssinn, tragen automatisch dazu bei, das Erdelement, Mooladhara Chakra zu öffnen. Warum? Der Geruchsinn ist des Menschen primitivster Sinnenweg und hat eine Direktverbindung zum Hirn auf ganz besondere Weise. Der Geruchsinn hängt mit der Ursexualität des menschlichen Wesens zusammen. Parfum ist ein sexuelles Signal, was mit Mooladhara Chakra in Verbindung steht, und wir werden an Freuds berühmten Fall erinnert, wo sich ein Mann mittleren Alters hoffnungslos in das Dienstmädchen seiner Frau verliebt.
Das Mädchen war alles andere als attraktiv und niemand konnte verstehen, warum er sich plötzlich so sehr verliebte. Schließlich entdeckte Freud, dass sie dasselbe Parfum benutzte, wie seine Mutter es hatte. Er hatte sich in Wahrheit in seine Mutter verliebt! Und diese Liebe ist durch Mooladhara Chakra angestoßen worden. Dieses Chakra ist äußerst machtvoll. Parfum, Insence, Geruch, das sind Anregungen für Mooladhara. Und die Beine sind der ‚Output’, der Prozess des Gehens, des Umherwanderns. Wenn du aufrecht stehst, aus dem kindlichen Krabbelzustand heraus bist, dann ist die physische Evolution beendet, und es bleibt nur noch die spirituelle Evolution.
Swadhisthana Chakra
Im Swadhisthana Chakra ist der Geschmackssinn der Sinnenkanal, der Input. Wenn wir schmecken wollen, benutzen wir die Hände, sie sind der motorische Output, durch sie bringen wir Nahrung und Getränke zum Mund. Es gibt eine interessante Verbindung zwischen Geschmacksinn, den sexuellen Körperflüssigkeiten und dem Erwecken von Swadhisthana Chakra. Wie wohl kommen wir zu dem Ausdruck: ‚Sie ist ein Leckerbissen’, oder ‚ich könnte ihn aufessen’?
Das Swadhisthana Chakra kontrolliert das Wasserelement und schon vor 2500 Jahren wusste man, dass man ohne das Wasserelement nicht schmecken kann. Die Geschmacksknospen können ohne das Wasserelement nicht funktionieren. Wenn der Mund trocken ist, deine Augen verbunden und deine Nasenlöcher verstopft sind, kannst du nicht sagen, ob du einen Apfel oder eine Zwiebel isst.
Manipura Chakra
Manipura Chakra, das Nabelzentrum, das Feuerzentrum, ist mit dem Wärmeelement, dem Leuchten und dem Sinneskanal des Sehensverbunden. Ohne Licht können wir nichts sehen. Auch wenn wir uns warm und gemütlich fühlen, ist das Manipura, das uns die Wärme des menschlichen Kontakts gibt. Die Organe des Handelns in Verbindung mit Manipur, der ‚Output’ ist der Anus mit den Ausscheidungsorganen.
Anahat Chakra
Der Sinnenweg für Anahat Chakra, das Herzzentrum ist das Element des Fühlens. Es ist sicherlich das schönste Zentrum in allen Traditionen. Wenn du auf Anahata meditierst, so ist das etwas ganz Besonderes. In Tantra wird das Herzzentrum durch das Fühlen geöffnet. ‚Ich bin berührt’ oder ‚ich bin bewegt’ hat eine tiefe psychologische Bedeutung. Das Element ist die Luft; der Sinneseindruck ist die Berührung und die Handlung nach außen geschieht mittels Fortpflanzung. Dieser Fortpflanzungsakt kann sowohl im Körper als auch im Geist stattfinden.
In Tantra und Kriya erzeugst du mit der Bewegung des Bewusstseins, dem Kreisen deiner Wahrnehmung durch den Körper eine fühlbare Wärme, Kälte, Schmerz, Licht, Druck und tiefen Druck; all diese Empfindungen können willentlich aktiviert werden. Die Bewegung, das Kreisen des Bewusstseins durch den Körper während der Übungen von Kriya Yoga ist ein fühlbares Erlebnis, du erzeugst dir selbst Erlebnisse wie Wärme, Kälte oder Druck. Ebenso in Yoga Nidra berührst du dein Anahat Chakra, während du Gefühle wie Wärme und Kälte, Schmerz und Freude usw. wachrufst; all diese Erfahrungen werden allmählich aktiviert.
Hier im Westen haben wir die Berührung verloren. Wir haben Angst, berührt zu werden, uns auf etwas einzulassen; wir wissen nicht einmal, wie wir uns auf eine Empfindungswahrnehmung ins Blickfeld rücken können. Versuch ein interessantes Experiment mit Anahat Chakra: Berühre den Menschen, der dir gerade am nächsten sitzt und nimm einmal vollkommen neu wahr. Berühr den Ringfinger; streich von unten nach oben, mit Ringfinger und Daumen; dein Nervensystem wird ein völlig neues Erlebnis haben; mach es ganz sanft.
Vishuddhi Chakra
Nun kommen wir zum Hals, zum ‚Vishuddhi Chakra’. Die Sinneswahrnehmung ist das Hören und der motorische Output ist das Sprechen, die Zunge. Das was wir hören und was wir sagen steht miteinander in Verbindung. Wir sagen auch: Er ist taub und stumm. Um sprechen zu können, müssen wir erst hören können; was wir nicht gehört haben, können wir auch nicht sprechen. Wiederum gibt es die Beziehung zwischen Input und Output. Diese Chakras verweisen auf ein In- und Outputsystem, das durch Kriya Yoga erweckt wird und bei Mooladhara beginnt und bei Vishuddhi endet. Viele sehr subtile Dinge kannst du selbst dabei entdecken.
Diese Chakras bewegen sich zwischen den Sinnenwegen und den motorischen Wegen. Nimm ein Beispiel: Dir wird schwindlig, Nebel legt sich vor deine Wahrnehmung; das kann passieren, wenn du zu schnell atmest, und dieses Überatmen gelangt durch den Kreislauf ins Hirn; oder ebenso, wenn du nicht voll genug atmest. Schwindlig werden hat etwas zu tun mit dem Gefühl, im luftleeren Raum zu schweben, im Nebel. Und wenn du das beheben möchtest, wird dir Riechsalz auf die Nase gedrückt – jedenfalls war das früher so –, der Riechsinn wird aktiviert, das Mooladhara Chakra wird berührt. Damit kann man sich wieder ‚erden’.
Die fünf Finger der Hand repräsentieren die Chakras:
- Daumen – Mooladhara
- Zeigefinger – Swadhisthana
- Mittelfinger – Manipura
- Ringfinger – Anahata
- kleiner Finger – das feinste Chakra, Vishuddhi
Ich glaube gern daran, dass jeder von uns ein lebendiger Altar ist. Warum haben wir einen Altar? Die Wortwurzel entspringt von der Bedeutung ‚etwas sehr Hohes’. Ein Altar sollte uns in eine hohe Stimmung versetzen, hier sollte sich unser Bewusstsein verändern.
Diese fünf vitalen Punkte solltest du erst einmal wahrnehmen und dann zum Guruzentrum kommen, dem ‚Ajna Chakra’. Hier bringst du Symbole der fünf Elemente dar:
- Räucherstäbchen, Weihrauch für Mooladhara, den Geruch
- Früchte für Swadhisthana, das Wasserelement
- Kerzenlicht für Manipura
- Tücher für Anahat, das Fühlen
- eine Glocke für Vishuddhi, das Hören
Vor einem solchen tantrischen Altar kannst du dein Bewusstsein verwandeln.
Nun, letztlich gibt es einen einzigen sicheren Weg, den höchsten Weg, auf dem das Bewusstsein sich wandeln kann. Wenn du eine Seereise machst und entdeckst, dass es auf dem Schiff keinen Kapitän und nur eine kleine Mannschaft gibt, keiner, der genau weiß, was zu tun ist, dann wirst du wahrscheinlich ausflippen, ich jedenfalls würde es. Und wir kennen sicher viele Menschen, die so durchs Leben gehen. Das Wort ‚Guru’ bedeutet Vertreiber der Dunkelheit. Das Leben ohne einen Guru zu leben ist ebenso närrisch, wie eine Seereise ohne Kapitän oder Steuermann zu machen. Es ist nicht sinnvoll, die Dunkelheit zu verfluchen, wenn das Leben düster erscheint. Erhebe dich und entzünde ein Licht! Dieses Licht ist der Guru. Ohne Guru kann nichts wirklich vollendet werden.
Ich bin das Universum und das Universum ist ich.
Feste Erde ist in Mooladhara,
und die Meere wogen in Swadhisthana;
Manipurs Sonne dringt mit Wärme in die Mitte
und erleuchtet den blauen Himmel von Anahata;
Tiefer violetter Raum dreht sich um Vishuddhi,
und alle Wesen sind durch Ajna in Ewigkeit verbunden.
Und aus der Unendlichkeit von Sahasrara
fließt deine grenzenlose Liebe.
(Aus Yogaheft 8) - Von Swami Anandakapila Saraswati - Yoga Magazine January 1977